Montag, 23. November 2009
LIFE LOGGING
Eigentlich ist der wissenschaftliche Zugang interessant, dass das Gehirn aufgrund seiner Kapazität Erfahrungen zu speichern, quasi zum „Identitätsorgan“ wird.
D.h., wer keine Erinnerung hat, weiß nicht, wer er/sie ist. Andererseits weiß die Wissenschaft oder wir ganz normale Menschen auch, dass unser Gehirn nicht lückenlos unsere Erfahrungen oder Informationen speichert. ManN/frau kann sich des öfteren an dies oder das einfach nicht erinnern. Oder wir kennen die Geschichte, dass sich 2 Menschen an eine gemeinsam erlebte Situation „verschiedentlich“ erinnern, bzw. an einzelne Details „verschiedentlich“ nicht erinnern. Tja, und erst wie lästig, wenn manN/frau zu einer Prüfung antritt und sich nicht um die Burg erinnern kann, dass die Formel F=m*a anzuwenden wäre.
Vergesslich, ja, aber ist deshalb die eigene Identität in Gefahr?
Also, was könnte passieren, wenn jemand eine „Identitätskrise“ hat?
Ist das eine Angelegenheit des „unzulänglichen“ Gehirns, das sich plötzlich an weite Teile des Lebens nicht erinnern kann?
Oder anders: Kommt jemand, der täglich ein Tagebuch schreibt, also alles nachlesen kann, was sich über Jahre ereignet hat, deshalb nie in eine Identitätskrise? Hat dieser Tagebuch schreibende Mensch eine stabilere Identität?
Ich bezweifle das stark :)…und außerdem: Wer schreibt in Zeiten von Facebook, Twitter & Co noch ein Tagebuch? Aber woran könnte manN/frau sich von den abertausend kurzen Meldungen dort erinnern? Oder welche Identität zeigt sich bei den ZwitscherInnen und/oder GesichtsbüchlerInnen, wenn sie sich nach einer Woche nicht einmal mehr erinnern können, was sie gepostet haben?
No problem, der Computer und/oder das Internet ist da eine perfekte Unterstützung, den Lücken des Gehirns als Memory-Extender auf die Sprünge zu helfen. Niemand braucht mehr mühsam im Tagebuch nachzulesen, sondern bekommt Erinnerung mit einem Keywort eingeben seitenweise ausgespukt - Life Logging, das (technisch) aufgezeichnete Leben, der Computer, der nichts vergisst.
Und im Vergleich zum Tagebuch, das möglichst noch mit einem Schlüssel versperrbar war, wird in Weblogs und sozialen virtuellen Netzwerken das Leben mit anderen geteilt.
Echt?
Ist dieses Teilen nicht nur ein Mitteilen, das der eigenen Selbstinszenierung und dem Narzissmus dient?
Trotzdem…die Prozesse samt digitalen Gedächtnis in virtuellen Räumen und sozialen Netzwerken geben eine Möglichkeit herauszufinden, wer manN/frau ist.
Identität ist ja kein abgekapseltes „Eigenprodukt“, sondern wird in der Vergesellschaftung mit den anderen erfahren. Erfahrungen haben einen emotionalen Charakter, nicht umsonst wird von guten, lustigen, anstrengenden, glücklichen, schlechten, etc. Erfahrungen gesprochen, an die sich manN/frau gern oder weniger gern erinnert. Und wenn der Mensch in irgendeiner Art und Weise lernfähig ist, dann wird er aus der Erinnerung an die „schlechten“ Erfahrungen versuchen, zukünftig etwas „besser“ oder anders zu machen. D.h. Erinnerung an die Vergangenheit beinflusst das Handlungspotential für die Zukunft.
Wird damit nicht auch unsere Identität zum Perpetuum mobile zwischen erinnerten Erfahrungen und neu zu entdeckenden Handlungsmöglichkeiten? Oder anders ausgdrückt: Haben wir überhaupt EINE Identität, die uns unser Leben lang „identifiziert“, wie es unser Reisepass oder Führerschein tut?
Ein Blick auf das 30 Jahre alte Foto in meinem Führerschein lässt mich gerade noch „als ich“ erkennen, aber selbst ein Autopapiere kontrollierender Polizist meinte: "Sie sollten sich einen neuen Führerschein=neue Identifikation zulegen!“ D.h. das Foto zeigt, dass sich meine Identität geändert hat, auch wenn sich das nur an einer anderen Frisur zeigen würde.
Und was ist nun mit der „Identitätskrise“?
Bricht sie nicht aus, wenn wir uns auf EINE Identität festnageln wollten, die sich in der emotionalen Erinnerung so „glücklich“ vor unserem geistigen Auge „aufpflanzt“?
Oder taucht sie auf, wenn wir uns mit Menschen vergesellschaften, die versuchen, quasi fixierte Identitäten der Superlative von ewig jung, agil, erfolgreich, glücklich vorzugeben?
Identität erscheint mir wie eine erinnerte Momentaufnahme in einer speziellen Situation, wie z.B. ein Foto im Reisepass oder Führerschein. Ein Foto von mir im Urlaub vor dem liegenden Buddha in Sri Lanka sieht da völlig anders aus, bzw. zeigt eine völlig andere Identität von mir. In meiner Erinnerung, die bei beiden Fotos entstehen, bekomme ich ein Gefühl dafür, aus welchen Puzzlesteinen sich meine Persönlichkeit zusammensetzt. Möglichst viele Puzzlesteine dann leben und in eine Gemeinschaft integrieren zu können, wird dann – in meiner Begriffswelt- Authentizität darstellen :)
Tjaja, so betrachtet ist Identität dann „nur“ eine Rolle, die ich im jeweiligen Theaterstück zu einer bestimmten Zeit spiele. Und diese Rollen müssen ja not at all unauthentisch sein, oda?
Vielleicht sollte manN/frau sich nur erinnern, wie die verschiedenen Rollen „ernst“ genommen wurden, um jetzt über diese „Überindentifikation“ schmunzeln zu können.
Ja, schmunzeln, damit ist eine „Identitätskrise“ doch wohl ausgeschlossen ;))))
Gut, damit werde ich jetzt meine Rolle als Schreiberin mal beenden und kurz meiner Rolle als Hausfrau nachkommen. Dass ich das Schreiben für die Rolle der Zuhörenden (Clientin) unterbrach, änderte nichts an meiner Rolle als Bloggerin und meine Rolle als Netzwerkerin lies mich auch noch die Emails dazwischen lesen :)))))
*Schmunzel*, sehr authentisch Ingeborg